Maya and Aztec

Ancient Mesoamerican civilizations

Das „Goldene Zeitalter“, eine Zeit der Wirren und Unordnung

Category: Alt-Mexico und seine Kunst

Die große Vergangenheit der früheren Kulturen aber existierte im Bewußtsein der Azteken und anderer, ein halbes Jahrtausend später aufblühender Stämme nicht mehr. Ihr geschichtliches Gedächtnis reichte nur bis in die Glanzzeit von Tula zurück. Durch die Erinnerung verschönt, wurde es für die Nachgeborenen zu einem goldenen Zeitalter. Geschichtlich gesehen aber waren es fast zweieinhalb Jahrhunderte der Wirren und Unordnung. Der Götterkonflikt, in Wirklichkeit ursprünglich sicher Stammesfehden zweier Häuptlinge, ist nicht das einzige Problem gewesen. Schwächere Gruppen wurden, sei es einer religiösen Idee wegen, oder einfach, weil die Stärkeren sich auszubreiten ver­suchten, weitergestoßen. Toltekische Flüchtlinge hinterließen ihre Spuren in Cholula sowie ihre Einflüsse auf die mixtekische und zapotekische Kultur. Noch weiter südlich sind es die Quiche-Indianer, die in ihrem heiligen Buch, dem „Popol Vuh“, einer sehnsüchtigen Erinnerung an Tollan nachhängen.

Die Pipil in West-Guatemala und Ost-Salvador gehören sprachlich zu den Nahua-Völkern und sind wahrscheinlich ebenfalls Nachfahren einer aus Tula vertriebenen Gemeinschaft. Stelen an der pazifischen Küste Guatemalas zeigen toltekische Stilelemente, und sogar noch in Nicaragua finden sich sprachliche wie stilistische Anzeichen, die auf toltekische Emigranten zurückzuführen sind. Von der einstigen kulturellen Höhe des alten Tula merkt man diesen Aus­wanderern nur noch wenig an. Lediglich den Vertriebenen unter der Führung von ce acatl tolpilzin Quetzal­coatl gelang es, mit dem erweiterten und umgebauten Chichen Itza ein neues und noch strahlenderes Tollan zu errichten. Bruderkriege rivalisierender Dynastien erschütterten aber auch hier das Land. Chichön Itzd wurde bereits Jahrhunderte vor der Ankunft der Spanier verlassen, und die toltekische Minderheit, die für eine kurze Zeit die dortige Kultur befruchtete, ging im Volk der Maya unter.

Tula, ein Alpanage adliger Azteken

Der letzte Herrscher, der das alte Tollan bis zu dessen Untergang 1168 regierte, war Huemac. Neuere Gra­bungen sowie die allmähliche Sichtung alter Aufzeichnungen lassen denVerdacht auf kommen, daß die „Mexico“ oder Azteken, wie sie sich nach ihrem mythischen Herkunftsort Aztlan nannten, bei der Zerstörung der Stadt eine wesentliche Rolle spielten. Für Jahrhunderte lag dann die erste Metropole der historischen Zeit in Ruinen, bis sie zu einer Apanage aztekischer Adeliger werden sollte, ohne jedoch den ehemaligen Rang oder die Größe zurückgewinnen zu können. Der konvertierte Don Pedro Moctezuma, ein Sohn des unentschlossenen Gegen­spielers von Cortes, schlug dort seine Residenz auf. Den Ausgrabungen zufolge war das unlängst freigelegte Bauwerk „cielito“ („kleiner Himmel“), das sich etwa 6 km abseits von der Residenz des Priesterkönigs Quetzal­coatl befindet, noch während der ersten Jahre nach der spanischen Eroberung bewohnt. Neben toltekischen Scherben lagen aztekische und darüber die der frühen Kolonialkeramik.

Die Kunst derTolteken schließt nicht etwa wie ihre Religion an die Kultur von Teotihuacan an. Sie entsprang einem weltlichen, ja militärischem Geist und zeigt keine Vorläufer. Ihr Bestreben ist weniger erfüllt von dem Versuch, die treibenden Kräfte der Natur, die Naturgötter, emotionell sichtbar zu machen, sondern vielmehr von dem Interesse, die weltliche Macht ihrer Führer zu demonstrieren. Während in der klassischen Zeit das Irreale häufig eine abstrahierte Form annahm und dem Volk gedanklich unzugänglich blieb, ist die toltekische Kunstideologie jedermann leicht verständlich. Das Lieblingsmaterial wird der Stein, aus dem auch das Beiwerk an den Architekturen gestaltet wurde, der also nicht nur den Götterbildern Vorbehalten war. Im Relief der Säulen oder in der Rundplastik, die ebenfalls als dekoratives Element im Dienst der Baukunst steht, sind Krieger oder kriegerische Stammesgottheiten dargestellt. Die Tolteken waren es, die mit Pfeil und Bogen, den neüen und unschlagbaren Wunderwaffen, nach Yucatan kamen und sich dort trotz ihrer Minderheit behaupten konnten. Die Reliefs von Tula und alle Skulpturen strahlen diese wilde, männliche Kraft aus, der längst nicht mehr die sensible Hand des theokratischen Künstlers anzumerken ist (Abb. 185,186,188,189). Wie die zeitlich weit zurück­liegende La Venta-Kultur, so ließen auch die toltekischen Künstler eine unglaubliche Materialgerechtigkeit erkennen, jedoch vernachlässigten sie die schwieriger zu bearbeitenden Steine wie Jade, Obsidian und Berg­kristall. Auch Alabaster und Nephrit, deren natürliche Maserung die Künstler von Teotihuacan in ihren Bann zog und den starren Masken etwas Lebendiges verlieh, fehlen bei den Tolteken. Auf die Verinnerlichung und Ver­geistigung sowie die Geduld der toltekischen Vorläufer folgte in dieser militaristischen Kultur der Hang zu einer monumentalen und ungeduldigen Prachtentfaltung, die fast an die vermeintliche Repräsentationssucht „Neu­reicher“ erinnert. Nahezu 5 Meter hohe und ins Leere starrende Krieger – nach anderer Auffassung verkörpern sie Quetzalcoatl als Morgenstern – trugen einst das Dach des berühmten Herrschers von Tula. (Vier dieser Kolossalfiguren stehen noch in den Ruinen, die fünfte allerdings ist ständig auf Reisen, um in verschiedenen Ausstellungen der ganzen Welt eine Vorstellung vom alten Mexiko zu vermitteln.) Einen ähnlichen massiven Stil zeigen die sogenannten „Atlanten“, stehende Figuren mit hoch erhobenen Händen, die einst steinerne Tischplatten hielten. Diese Skulpturen sowie die überdimensionalen Träger des Daches, fälschlicherweise „Karyatiden“ genannt (Unter Karyatide versteht man eine weibliche Figur als Gebälkträgerin anstelle einer Säule. Das mäi liehe Gegenstück ist der Atlant. Im alten Mexiko fanden sich nur Darstellungen von männlichen Gestalten.), und die viereckigen Säulen mit den eingeschnittenen Kriegern verdeutlichen so­wohl in Tula wie auch in Chichen Itza einen der klassischen Epoche konträren Geist.


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