Maya and Aztec

Ancient Mesoamerican civilizations

Das Aufblühen einer Weltstadt

Category: Alt-Mexico und seine Kunst

Die geographische Lage wirkte sich für die aztekische Stadt in vieler Hinsicht günstig aus. Durch die vielen Kanäle, die die Insel durchzogen, war für das rad- und zugtierlose vorspanische Amerika eine einmalige Situa­tion der Beförderung von Mensch und Ware auf dem Wasserwege gegeben. Den ungewöhnlich schnellen Auf­stieg aber verdankt die Stadt zweifellos einer ausgewogenen Verteilung von Bauern, Händlern und Kriegern sowie der Anpassungsfähigkeit ihrer Bewohner; eine Eigenschaft, die von jeher eine von allen verfolgte Minder­heit auszeichnet – man denke dabei an die semitischen Völker der „Alten Welt“.

Ein anderer, wesentlicher Punkt für das schnelle Aufblühen von Tenochtitlan liegt in der Energie ihrer Führerschaft, die nichts von dem Ballast der Tradition alteingesessener Stämme mit sich schleppte, sondern sich von den älteren Kulturen nur das aneignete, was sie benötigte. Mit dem Anwachsen der Stadt und dem Zunehmen der Bevölkerung entstanden sehr schnell differenzierte Klassen mit entsprechend gestaffelten Bedürfnissen ihrer Mitglieder. Nicht nur die Religion, auch der weltliche Hang zur Schaustellung der Macht, förderte das Spezialistentum der Handwerker und Kunsthandwerker, der Händler und Bauern. Sahagün beschreibt im „Codex Florentino“ an die hundert verschiedene Stände. Von Prostituierten über die Kaufleute, denen der Pater ein ganzes Buch widmet, bis zu den Sängern, Schreibern und Gelehrten ist der soziale Bogen gespannt.

Zweifellos sind die friedlichen Berührungen der Händler mit den anderen Völkern ebenso wichtig für das Werden dieser städtischen Kultur gewesen wie die blutigen Auseinandersetzungen der aztekischen Krieger, die nicht nur neue Ideen, Güter und Götter mit nach Hause brachten, sondern auch die nötigen Arbeitskräfte, um die kilometerlangen Dämme und Wasserleitungen zu errichten, die Chinampas zu flechten und die Tempel und Paläste zu erbauen. Von den vielen Tausend Sklaven, die als Beute in die Hauptstadt eingebracht worden sind, starben zweifellos nicht alle auf den Stufen der Pyramiden den Opfertod. Wir haben Kenntnis von Kunst-Handwerkern, die auf Grund ihrer hohen Fähigkeiten aus der Mixteca Alta oder anderen Teilen des Landes den unfreiwilligen Weg nach Tenochtitlan antreten mußten.

Die besondere organisatorische Begabung der Azteken sowie ihre Skrupellosigkeit, zweifellos in den langen Jahren der Unterdrückung erlernt, ermöglichten rasch die politische Vorherrschaft dieses mächtigen Stadt­staates. Als die Spanier auf dem Schauplatz erschienen, war der Höhepunkt noch nicht erreicht. Tenochtitlan, diese junge, eben erst von Erfolg gekrönte Stadt, zeigte noch keine Anzeichen einer Stagnation. Ihre Zerstörung kam von außen und noch ehe sie auf ein zweihundertjähriges Bestehen zurückblicken konnte. Daß Tenochtitlan zur „Weltstadt“ wurde, die nach Oswald Spengler „Sinnbild und Höhepunkt einer Kultur“ darstellt, „die sowohl in ihrer Größe wie in ihrem Verfall sich erfüllt sieht“, verdankt sie ebenso den starken Nachbarn wie der Hartnäckigkeit und Ausdauer ihrer eigenen Bewohner.


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