Maya and Aztec

Ancient Mesoamerican civilizations

Der Kaiser

Category: Alt-Mexico und seine Kunst

Moctezuma, der einen Pomp entfaltete wie keiner seiner Vorfahren und sich als Erster den Titel „Tlacatecuhtli“, „Herr der Menschen“, anmaßte, war selbst nur ein armer Gefangener der kosmischen Religion seines Volkes. Oft tagelang zog er sich zu Fasten und Selbstkasteiungen zurück. Kein Sterblicher mehr durfte ihm ins Antlitz blicken. Bernal Diaz del Castillo, der den aztekischen Kaiser als Gefangenen der Spanier fast täglich zu Gesicht bekam, beschreibt ihn: „Der große Moctezuma mochte an die vierzig Jahre zählen. Seine Gestalt war eben­mäßig, schlank und hager. Seine Hautfarbe nicht sehr dunkel, sondern von der den Indianern eigenen Tönung. Sein Kopfhaar hielt er kurz, gerade so lang, daß es die Ohren noch bedeckte. Sein dunkler Bart war spärlich, aber gepflegt. Sein längliches Antlitz heiter und mit sanften Augen. In der Art seiner Person, in seinem Blick lag Güte und zuweilen auch Ernst.

Er war sehr gepflegt und sauber, badete jeden Tag einmal, und zwar am Nach­mittag. Viele Frauen hatte er zu seinen Geliebten, alles Töchter von Edelleuten; doch nur zwei Fürstinnen waren seine legitimen Gemahlinnen. Wenn er sich mit ihnen vereinigte, so geschah das in aller Heimlichkeit, so daß nur wenige Diener darum wußten. Vom Laster der Sodomie war er vollkommen frei (Die Anspielung von Bernal Dfaz del Castillo auf Sodomie ist unverständlich und zweifellos für die Aztek« ungerechtfertigt, denn nach aztekischem Gesetz wurde dieses Laster mit dem Tode bestraft.). Seine Schulter­decken und Kleider trug er nur drei oder vier Tage. Aus über zweihundert Hauptleuten bestand seine Garde, die sich in den Räumen aufhalten mußten, die an seine Gemächer grenzten. Nicht jeder, sondern nur der eine oder andere, durfte das Wort an ihn richten. Wenn sie es taten, so legten sie ihre kostbaren Schulterdecken ab und nahmen wertlose, die aber sauber sein mußten. Barfüßig, die Augen zu Boden gerichtet und ohne ihm ins Antlitz zu schauen, verbeugten sie sich dreimal und wiederholten jedesmal die Worte: ,Herr, mein Herr, mein großer Herr“, bevor sie sich ihm näherten. Nachdem sie ihr Anliegen vorgetragen hatten, entließ er sie mit kurzen Worten. Beim Weggehen durfte keiner ihm den Rücken zukehren, bis er aus dem Saale war, und er mußte den Kopf senken, ohne ihn anzublicken. Und noch eine Sache sah ich: wenn andere große Herren aus entfernten Ländern der Streitigkeiten wegen oder der Geschäfte halber zur Audienz kamen, so mußten sie barfüßig und in ärmlicher Kleidung vor dem großen Moctezuma erscheinen; auch durften sie nicht geradewegs in die Residenz eintreten, sondern es schickte sich, mehreremale vor dem Eingang des Palastes auf und ab zu gehen, denn es galt als grober Verstoß, sofort einzutreten.“

Noch über viele Seiten beschreibt Bernal Diaz del Castillo die auserwählte Küche sowie die Zeremonien, die beim Mahl des Monarchen erforderlich waren. Der alte Haudegen, der erst im hohen Alter seine Waffe mit der Feder tauschte, berichtet von der Bibliothek im kaiserlichen Palast, die in den Flammen einer Bücherver­brennung aufging – von dem Waffenarsenal, das ungenutzt blieb – von den Gemächern mit Götterstatuen, die dem Zorn der Spanier zum Opfer fielen – sowie von Käfigen mit exotischen Vögeln und wilden Tieren, über deren Verbleib die Chronisten schweigen. Der spanische Soldat vergaß auch nicht, die Schönheit der Gärten zu erwähnen. Alles, was er erzählt, läßt keinen Zweifel mehr an einer prächtig entfalteten Hofhaltung, die selbst mit den europäischen Königs- und Kaiserhöfen des Mittelalters wetteifern konnte. Sie läßt auch keinen Zweifel mehr an der autonomen Herrschaft eines zivilisierten Monarchen, dessen Volk nur wenige Gene­rationen vorher noch zu dem ärmsten und kulturlosesten unter den zahlreichen des Landes zählte. Zu Moctezu­mas Zeiten bahnte sich in Mexiko das an, was sich innerhalb der peruanischen Militäraristokratie bereits einige Generationen vorher vollzogen hatte: nämlich die Legende von der göttlichen Abstammung der welt­lichen Herrscher. Noch war der „Herr der Menschen“ in Mexiko ein Sterblicher, geboren von sterblichen Vor­fahren. Vielleicht, wenn die Spanier nicht gekommen wären, hätten bereits die Nachfahren Moctezumas ihre Abstammung direkt auf den Stammesgott zurückgeführt wie die herrschende Dynastie der Inka im alten Peru, die sich als die legitimen Kinder des Sonnengottes ausgaben.


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