Maya and Aztec

Ancient Mesoamerican civilizations

Der soziale Rangunterschied

Category: Alt-Mexico und seine Kunst

Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der mexikanischen Kultur, daß wir trotz dieser erzählenden Kunst so gut wie nichts von ihren Schöpfern wissen. Die Situation kann sich erst dann ändern, wenn Wissenschaftlern die Möglichkeit gegeben wird, dort systematische Grabungen vorzunehmen. Das einzige, was bisher mit Sicherheit aus den Darstellungen dieser lebensfrohen Gemeinde hervorgeht, sind die sozialen Randunterschiede ihrer Mitglieder. Einerseits finden sich nackte oder spärlich bekleidete Menschen, andererseits solche, die kostbare Gewänder und Schmuckstücke tragen. So unkompliziert auch diese Welt in ihrer kleinen Kunst erscheint, so differenziert war sie sicherlich in Wirklichkeit.

Der religionsarme Zustand sowie die lose Gliederung in dörfliche Gemeinden haben die Kunst dieser Menschen über eine lange Zeitspanne hinweg kaum verändert. Ihr Weltbild scheint auf der Stufe der vorklassischen Zeit stehengeblieben zu sein und hat sich über die klassische Zeit hinweg bis zum Auftreten der organisierten und kriegerischen Tarasken kaum verändert. Hier, wo eine ausgeprägte Religion, die in anderen Teilen des Landes die Gesetzmäßigkeit der Kunst regelte, weitgehend entfiel, begegnet der heutige Kritiker genialen Schöpfungen, die neben mittelmäßigen und schlechten Erzeugnissen stehen. Die frei gestaltete und überschwengliche Aussage dieser Tonbildner, die meist aus dem Leben schöpften und nur selten aus dem Mythos, ist manchmal konven­tionell, ein andermal aber wild und mutig. Vieles ist noch unförmig, doch weniges ungekonnt. Andere Werke weisen wiederum höchstes Formgefühl und Sensibilität auf. Das Gesamtbild aber bleibt stets das gleiche, das ureigene Werk ihrer Schöpfer und nicht das einer Elite, die Künstler beauftragt. Im Gesamtmosaik der Kunst Mexikos bildet diese spezielle Kunst der Nordwestküste das diesseitsgerichtete Extrem. Diese „Barbaren­kunst“ – wenn man sie so nennen will – umschlingt mit ihren Wurzeln den Alltag oder besser gesagt das Leben, sie kennt nicht die Nähe des Todes und die Todesverachtung, die ein wesentliches Merkmal der altmexikanischen Religion war und selbst heute noch als Charakterzug in vielen Indianern und Mestizen weiterlebt.

Die „Naiven“

Die Kunst der Nordwestküste ist im größten Maße Volkskunst: naiv, fröhlich und ganz aus der Impression entstanden. Das enge Korsett einer geistig oder staatlich gelenkten Kunst war ihr fremd, und so eilte manches seiner Zeit voraus, während anderes mit ihr nicht Schritt halten konnte. Diese vor mehr als 1000 Jahren ent­standene Keramik – dem Stein vormochten die Künstler nur wenig abzugewinnen – zeigt eine unglaubliche Modernität und nimmt in vielen Fällen der Kunst des 20. Jahrhunderts einiges vorweg. Nicht von ungefähr waren ihre Entdecker Künstler und nicht Archäologen, allen voran Diego Rivera, der diese kraftvollen Plastiken ans Licht der Öffentlichkeit rückte.

Das Tabu der Keuschheit

Als die einzigen vorkolumbischen Bildnisse Mexikos – wieder zwingt sich eine Parallele zur Kultur von Moche in Peru auf – durchbrechen sie das Tabu der Keuschheit. Sitzende Jünglinge mit extrem langem Phallus, der als Ausguß dient, wirken wie ein Fremdkörper innerhalb der alt-mexikanischen Kunst, die doch die Dar­stellung eines nackten menschlichen Körpers stets zu meiden suchte. In den Figuren der Nordwestküste ist das Thema bis zur Karikatur getrieben und hatte wohl kaum eine tiefere religiöse Bedeutung (Abb. 45).


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