Maya and Aztec

Ancient Mesoamerican civilizations

Vorwort

Category: Alt-Mexico und seine Kunst

Fast vierhundert Jahre lang war die Kunst der indianischen Völker verkannt und verachtet. Das Phänomen der künstlerischen Entdeckung begann einerseits mit dem Wissen um die bewegte.Geschichte und andererseits durch den Abfall von den „Werten“ der griechischen Ästhetik, die fast zwei Jahrtausende das künstlerische Denken Europas bestimmte. Diese Um- und Neuwertung der Kunst brachte dem Kunstmuseum als gleich­wertigen Partner und als Stätte der künstlerischen Anregung das Völkerkunde-Museum, das vorher eher einem Raritätenkabinett glich.

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Die Gesamtzahl der Indianer, die vor der Eroberung in beiden Amerikas lebten, schätzte der französische Ethnologe Paul Rivet zwischen 40-45 Millionen. Er konnte 123 verschiedene Sprachfamilien nachweisen, die nicht durch die geringsten verwandtschaftlichen Beziehungen miteinander verknüpft sind. Wie die Sprachen, so zeigen auch die alten Kulturen der „Neuen Welt“ und ihre künstlerische Hinterlassenschaft viele Gesichter. Neben dem Gebiet der Zentral-Anden (Peru und Bolivien) war Mesoamerika (Geographisch zählt Mexiko zu Nordamerika. Um die Hochkulturen jedoch in diesem Raum von den nord­amerikanischen Nomaden- und Jägerkulturen zu unterscheiden, spricht die Wissenschaft von Mesoamerika) das Zentrum einer intellek­tuellen und künstlerischen Entwicklung. In Mexiko – einem Land, das sich auf der Karte Europas von der Nord­küste Schottlands bis zur Südküste Siziliens erstrecken würde – deckten die Spaten der Archäologen die Zeugen einer 3000-jährigen kunstgeschichtlichen Entwicklung auf. Zeitgenössische Künstler vieler Nationen beugten sich ehrfürchtig vor der visionären Kraft und dem hohen Können dieser unbekannten Künstler, von denen kein Name überliefert ist und nicht ein einziges „Selbstbildnis“ in die Kunstgeschichte einging.

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Vergeblich wird der Linguist in einer der vielen indianischen Sprachen ein Wort für „Kunst“ suchen. Dieser europäische Begriff ist im alten Amerika unbekannt. Die alt-indianischen Bildwerke dienten dem Jenseitigen und Übernatürlichen. Und so stellt ihre Deutung Probleme, die nur schwer zu lösen sind, da der Schlüssel zum Verständnis hauptsächlich in einer fast vergessenen Religion zu suchen ist. Der anonyme Künstler, der irdene Grabbeigaben schuf, der unbekannte Bildhauer, der mit Werkzeugen aus Stein seinen Göttern steinerne Bild­nisse meißelte, der namenlose Architekt, der Tempel und kultische Paläste errichtete, sie alle standen auf einer anderen Ebene als die heutigen Menschen, die diese untergegangene Welt zu kommentieren versuchen. Den­noch ist es in den meisten Fällen gelungen, in den komplizierten Geist der verflochtenen Formen einzudringen, die soviel Gegensätzliches vereinen. Mythen und Gebete, Göttersagen und Heldenlegenden, in der frühen Kolonialzeit aufgezeichnet, in der vorspanischen Zeit in Stein geritzt oder in Bilderschriften festgehalten, sind die Spiegel, durch die man in das indianische Denken eindringen kann.

„Da war Nichts, nur das schweigende Wasser, das sanfte Meer, einsam und ruhig. Nichts war da. Da war nur die Unbeweglichkeit, das Schweigen und die Dunkelheit der Nachf. Nur die Schöpfer und Gestalter Tepeu Cucumatz, Mutter und Vater zugleich, waren im Wasser … Sie sprachen nachdenklich und erwägend. Sie fanden zueinander in der Dunkelheit der Nacht. Sie vermählten ihre Worte und Gedanken.

Und als sie so sprachen, wurde ihnen klar, wenn die Dämmerung anbricht, muß der Mensch erscheinen … der Nahrung und Unterhalt (für die Götter) geben wird“. (Popol Vuh, „das heilige Buch der Quiche-Indianer“. Die Quiche gehören wie die Cakchiquel zu der Familie der Maya-Indianer, die auf dem Hochplateau von Guatemala leben. Die Aufzeichnung ihrer Schöpfungsgeschichte ist deshalb von größter Wichtigkeit, weil sie auch mexikanische Gedankengänge reflektiert. Toltekische Stämme, die aus dem gepriesenen „Tollan“ (Tula) abwanderten, brachten ihre religiösen Vorstellungen mit. Seit der Bearbeitung von Brasseur de Bourbourg erschienen mehrere Ausgaben in vielen Weltsprachen. In Deutsch: „Das Popol Wuh“, übersetzt und bearbeitet von Noah Elieser Pohorilles, Leipzig 1913. Leonhard Schultze, Jena, Berlin 1944. W. Cordan: „Buch des Rates“, Düsseldorf-Köln 1962)

Viermal mußten die Götter den Versuch unternehmen, den Menschen, ihren „Erhalter und Ernährer“, zu er­schaffen, denn die Götter forderten von ihren Geschöpfen viel. Die polychrome Keramik in den Gräbern, die Schmuckanhänger aus Jade am Hals der Priester, die Masken aus Obsidian für die toten Würdenträger, die Steinskulpturen am Fuße der Pyramiden, die gewaltigen Bauwerke mit ihren Fresken und die Herzen ge­opferter Gefangener, alles, Kunst und Kult, hatte nur eine Funktion: die Erhaltung der’Götter, die Aufrecht­erhaltung der kosmischen Ordnung.

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In dem Land der Vulkane und Hurrikane, das maßlos verschwenderisch im Geben wie im Nehmen ist, leistete der indianische Mensch Großes. Die ständige Herausforderung von Seiten der Natur versetzte ihn in eine Lebensangst, die später, unter den fremden Herren und dem neuen Gott, in Fatalismus ausartete. Angetrieben von der Angst, der Sonnengott könnte seinen Gegenspielern unterliegen, erbaute der indianische Mensch die größte Pyramide der Welt (Mit ihrem Rauminhalt übertrifft die Pyramide von Cholula (Mexiko) die Cheopspyramide in Ägypten bei weitem) und formte mit primitivsten Mitteln unvergängliche Kunstwerke. Sie richteten sich nicht nach den Gesetzen der griechischen Baukunst, auch wird man vergeblich nach dem Mystizismus der Gotik in Mexiko suchen. Der indianische Mensch hat seine eigenen formzwingenden Gesetze entwickelt und seine eigenen Götter gebildet, die nichts mit denen in anderen Teilen der Welt gemein haben; auch wenn die Pyramiden bei oberflächlicher Betrachtung an die Grabbauwerke im Tal der Könige in Ägypten erinnern, und der Gott Quetzalcoatl, der ein Glas der berauschenden Pulque zuviel trinkt und damit sein Schicksal verwirkt, einen Verwandten in der Ägäis haben könnte. Das alles sind Zufälligkeiten, die nicht im Vordergrund stehen. Den Mittelpunkt des mexikanischen Denkens bildet der immerwährende Kampf der unberechenbaren Natur­gewalten. Nichts wird hier durch die Physik erklärt, alles ist methaphysisch gesehen. Jeden Morgen tritt der Sonnengott, gestärkt von den Opfern der Menschen, seine Reise durch den „Taghimmel“ an. Jeden Abend un­terliegt er den Mächten der Nacht, den Beherrschern des Totenreiches. Er besiegt sie, und wiederum beginnt seine lange Tagesreise in die Nacht.

In diesem Bild liegt der Kern der indianischen Philosophie, das vergebliche Ausweichen vor den übernatürlichen Kräften und der Aufschub des Schicksals, der nur durch das ständige Opfer möglich wird. Der Gedanke von nur guten und nur bösen Göttern, der Begriff von nur rein und nur unrein, ist der alten mexikanischen Religion fremd. Die göttlichen Vorbilder sind im unberechenbaren Verhalten der Naturkräfte zu suchen. Der Regengott Tlaloc kann die Ernte sichern, er kann sie aber auch zerstören. Der Windgott Ehecatl, der mit einer vogelartigen Maske dargestellt wurde, treibt die regenträchtigen Wolken vom Meer aufs Land, er zerstört aber auch die Hütten der Bauern. Coatlicue, die Erdgöttin, ist nicht nur die alles Gebärende, sie ist auch die Gottheit, die alles wieder zerstört. Dreizehn Oberwelten türmten sich unsichtbar über den Azteken und neun Unterwelten traten ihre Füße. Zu Hunderten gab es „Ressortgötter“, die für Geburt und Tod, für Rausch und Blumen, für Krieg und Handel zuständig waren. Die Erinnerung an sie ist noch lange nicht ausgelöscht. Die neue Religion der „weißen Götter“ trieb zwar Früchte, aber sie konnte keine tiefen Wurzeln im indianischen Boden schlagen. Es ist der gleiche Indio, der am 12. Dezember zur Virgen von Guadalupe pilgert und vorher noch die alten Götter bittet, über seine Reise zu wachen.

Für die Kunst des alten Mexiko war die Vorstellung, der unbegleichbaren Schuld leben zu dürfen, die Trieb­feder für die ungeheuren Leistungen. Unbekannte Formen verkleiden die altindianischen Vorstellungen, Formen, die danach streben, Wirklichkeit zu werden – eine Wirklichkeit, die transzendent ist, die zugleich ver­birgt und enthüllt. Religiöse Vorstellungen erzeugen chimärische Bilder aus der Welt des Menschen und des Tieres. Sie stoßen oft bis ins Abstrakte vor, um „Unerklärbares“ zu erklären, nicht Mitteilbares mitzuteilen. In nie dagewesenen Erscheinungsformen werden Bilder geboren und wiedergeboren. Sie beschwören eine Traum­welt, in der sich der Menschen Urangst ihre eigenwilligen Bilder sucht. Es ist ein seltsam abstrakter „Genuß der Qual“ in diesen symbolischen Geschöpfen. Die Form, mit der sich männliche, weibliche und Tierkörper bilden lassen, mit der sich Götter und Göttinnen zeigen, ist im alten Mexiko schier unerschöpflich. Zu viele Stämme und Völker haben hier im Laufe von drei Jahrtausenden ihre Felder bestellt, ihre Kinder geboren und ihre Toten bestattet. Sie alle haben das Gesicht ihrer Götter und damit ihr eigenes hinterlassen.


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